Es ist nicht direkt traurig. Aber auch nicht leicht
Es gibt diese Tage, an denen schon der erste Blick aus dem Fenster leise seufzen lässt. Grau. Ein bisschen schwer. Die Luft fühlt sich dicht an, als würde sie sich auf deine Schultern legen. Du stehst da, atmest, suchst nach einem klaren Grund – und findest keinen. Keine große Krise. Keine schlimmen Nachrichten. Kein konkreter Auslöser, den du mit einem Fingerzeig bannen könntest. Und trotzdem ist da dieses Ziehen. Ein inneres Wetter, das nicht schreit, aber an dir zerrt.
Vielleicht hast du gut geschlafen, vielleicht auch nicht. Du machst Kaffee, räumst eine Tasse weg, öffnest Mails, schaust auf deine To‑dos. Alles wie immer, und doch fühlt sich alles ein bisschen zu viel an. Dein Kopf läuft bereits auf Betriebstemperatur, noch bevor der erste Schluck dich erreicht. Gedanken, die in Schleifen reden. Kleine Fragen, die groß werden, wenn sie in deiner Brust verhallen. Und mittendrin du: funktionierend, versuchend, zugewandt – aber leiser als sonst.
Wenn du dich hier wiederfindest:
Du bist nicht allein. Und nein, du übertreibst nicht. Es ist auch nicht „nur das Wetter“. Manchmal ist es Herbst – außen und innen. Manchmal ist es der Übergang, der an uns zieht. Die Welt verlangsamt sich, Farben werden tiefer, Tage kürzer, und plötzlich spürst du mehr von dem, was im Sommer übertönt war. So wie die Blätter eine Schicht nach der anderen verlieren, schält sich in dir etwas frei. Und das kann sich zart anfühlen. Oder roh. Oder widersprüchlich.
Es ist wichtig, das zu sagen:
Dieses Gefühl ist nicht falsch. Es ist nicht peinlich, nicht unnötig, nicht „zu sensibel“. Es ist Information. Eine Botschaft deines Systems, die sagt: „Ich nehme viel wahr. Ich bin fein eingestellt. Und gerade ist die Welt ein bisschen laut, auch wenn sie still aussieht.“
Vielleicht kennst du dieses innere Knistern:
Du denkst an ein Gespräch von gestern und hörst deine Worte im Nachklang zum zehnten Mal. Du gehst gedanklich durch alle Varianten eines Termins, den du längst zugesagt hast. Du willst dich entscheiden, aber in dir tut sich jede Tür gleichzeitig auf – und keine lässt sich durchschreiten. Dieses „nicht direkt traurig, aber eben auch nicht leicht“ ist so ein Zwischenraum. Ein Ort, an dem nichts kaputt ist, aber viel nach dir ruft. Ein Ort, an dem du Halt suchst, obwohl es nicht stürmt.
Und genau da beginnt die leise Kunst, freundlich mit dir zu sein. Nicht mit Parolen, nicht mit Druck, nicht mit „Reiß dich zusammen“. Sondern mit etwas viel Schlichterem: Ankommen. Benennen. Atmen. Du musst nichts sofort reparieren. Nichts kontrollieren. Nichts „wegmachen“. Was du tun kannst: dich selbst hören.
Ein kleines Bild: Stell dir vor, du sitzt an einem Fenster. Draußen regnet es fein. Kein Weltuntergang, nur ein anhaltendes Tropfen. Du schaust, ohne zu werten. Du beobachtest, wie der Regen Furchen auf die Scheibe malt, wie einzelne Tropfen zusammenlaufen, größer werden, dann sanft nach unten rutschen. Du greifst nicht ein. Du lässt es passieren. Und plötzlich merkst du: Nichts davon war bedrohlich. Es war nur Bewegung.
So ähnlich darf es sich innen anfühlen. Nicht alles muss aufgelöst werden. Vieles will nur gesehen werden. Manchmal ist es ein Nachhall von Gestern. Manchmal ein alter Glaubenssatz, der bei grauem Licht deutlicher wird. Manchmal ist es einfach Müdigkeit, die sich tarnt. Wenn du diese Nuancen wahrnimmst, bist du nicht „kompliziert“. Du bist aufmerksam. Du bist lebendig.
Und ja, es ist anstrengend, diese feinen Antennen zu haben. Sie bringen dich aber auch zu einer Form von Tiefe, die andere erst suchen. Du kannst Stimmungen lesen. Zwischentöne hören. Zeichen sehen, bevor sie groß werden. Das ist kein Makel. Das ist Fähigkeit. Sie braucht nur einen Ort, an dem sie landen darf, ohne dass du dich selbst überforderst.
Was heute helfen kann, ist schlicht:
weniger müssen, mehr dürfen. Eine Aufgabe weniger. Ein Ja weniger. Ein Spaziergang mehr, selbst wenn es nur bis zur nächsten Ecke ist. Eine Tasse Tee, die du wirklich trinkst, statt sie zwischen Tabs kalt werden zu lassen. Und ein Platz, an dem du all das ablegen darfst, ohne dass es bewertet wird. Ein neutraler, freundlicher Raum, der sagt: „Hierhin mit deinem Innenwetter.“ Ein Journal kann so ein Raum sein. Nicht, weil es Lösungen ausspuckt, sondern weil es dein Dasein hält.
Du musst nicht poetisch schreiben. Du musst keine schönen Überschriften finden. Du darfst so schreiben, wie dir zumute ist: bruchstückhaft, wirr, ehrlicherweise. Du darfst Seiten haben, die nur aus drei Sätzen bestehen. Du darfst dich wiederholen. Du darfst sagen: „Ich weiß nicht, was los ist, aber da ist etwas, und ich nehme es ernst.“ Du darfst eine Linie ziehen und sagen: „Hier höre ich auf, mich kleinzureden.“
Vielleicht magst du dir für heute nur diese zwei Sätze notieren:
- „Ich darf mich auch dann ernst nehmen, wenn ich den Grund nicht kenne.“
- „Ich muss heute nichts beweisen, um sanft mit mir zu sein.“
Beides ist wahr. Beides ist genug. Und wenn dich deine innere Stimme fragt, ob das nicht zu wenig ist, antworte leise: „Nicht heute. Heute reicht das.“ Manchmal beginnt Leichtigkeit genau hier – nicht mit einem großen Plan, sondern mit der Erlaubnis, erst einmal zu sein. So, wie du bist. In diesem Licht. In diesem Herbst.

Overthinking ist kein Charakterfehle
Echt jetzt: Overthinking ist kein Charakterfehler. Es ist auch keine Schwäche, die man „wegtrainiert“. Es ist eine Strategie deines klugen, wachsamen Systems, das Sicherheit herstellen will, indem es Möglichkeiten durchspielt. Dein Kopf meint es gut. Er möchte dich schützen. Er scannt, sortiert, simuliert. Nur manchmal übernimmt er die Regie, obwohl du eigentlich nur atmen wolltest.
Wie es sich zeigt, kennst du:
Du zerdenkst Gespräche. Du hörst dir selbst in Dauerschleife zu und suchst nach einem „besseren“ Satz, den du hättest sagen können. Du spielst Szenarien durch, die niemals passieren – aber sich beim Durchspielen so real anfühlen, dass dein Körper reagiert. Du willst Entscheidungen treffen, doch je intensiver du denkst, desto weniger fühlst du. Der Kopf wird lauter, der Körper leiser. Und am Ende ist da: Müdigkeit. Von dir. Vom Denken. Von allem.
Das Wichtigste zuerst:
Du bist nicht „zu sensibel“. Du bist verbunden. Du nimmst Feinheiten wahr. Und du hast dir im Laufe deines Lebens angewöhnt, über Denken Kontrolle zu gewinnen. Das ist nachvollziehbar. Es war einmal sinnvoll. Es hat dir geholfen. Nur ist heute vielleicht der Moment, an dem du eine zweite Strategie dazunimmst. Nicht gegen den Kopf – mit ihm. Nicht „ausreden“, sondern „entlasten“. Hier kommt Journaling ins Spiel.
Warum Schreiben gegen Grübelkreise hilft
Schreiben verankert Gedanken im Außen. Worte, die im Kopf kreisen, bekommen ein Zuhause auf Papier. Sie müssen nicht länger im Inneren rotieren. Schon das schafft Distanz. Außerdem verlangsamt Schreiben. Du sprichst schneller, als du schreibst. Beim Schreiben wird aus dem Rauschen eine Spur. Und Spuren lassen sich lesen: Muster, Wiederholungen, Trigger. Nicht, um dich zu pathologisieren – um dich zu verstehen.
Ein paar einfache, wirksame Wege:
- Gedankendump in drei Spalten
- Spalte 1: Was denke ich? (roh, ungeschönt)
- Spalte 2: Was fühle ich dazu? (ein Wort reicht: Druck, Angst, Scham, Erleichterung)
- Spalte 3: Was ist heute beeinflussbar? (eine Mini‑Aktion, ein Satz zu dir, ein „lass liegen“)
Das trennt Gedanken von Gefühlen und beides von Handlungen. Aus einem Knoten wird ein Faden.
- Labeln statt kämpfen
Schreibe über einen wiederkehrenden Gedanken und setze ein Label darüber: „Katastrophisierung“, „Mind Reading“, „Alles-oder-Nichts“. Du musst keine Theorie kennen – es reicht, dem Muster einen Namen zu geben. Benannte Dinge verlieren Macht. Du erkennst: „Ah, das ist diese alte Platte.“ Du musst sie nicht mehr auf volle Lautstärke drehen. - Beweis- und Gegenbeweis-Tabelle
Links: „Dafür spricht…“
Rechts: „Dagegen spricht…“
Und darunter: „Was wäre eine freundlichere Zwischenüberschrift?“ Es entsteht ein drittes Feld: „Und selbst wenn – was wäre dann mein nächster kleiner Schritt?“ Das nimmt der Angst die Allmacht. - Der Brief an die Freundin
Schreibe exakt das, was du deiner besten Freundin sagen würdest, wenn sie exakt so denken würde wie du. Gleicher Inhalt, gleicher Ton. Dann lies es laut – für dich. Du wirst überrascht sein, wie liebevoll und klar du sein kannst, sobald du aus dir heraustrittst. - Die 5‑Minuten‑Regel
Stelle einen Timer. Fünf Minuten freies Schreiben. Kein Stoppen, kein Korrigieren. Alles darf raus, auch Unsinn. Danach: Stift hinlegen, kurz aufstehen, Schultern rollen. Fünf Minuten reichen, um den inneren Druck zu entlüften. Wenn du willst, mach später weitere fünf. Aber erst einmal: Luft ins System. - Körper zuerst
Ja, es ist ein Artikel übers Schreiben – und trotzdem: Notiere zwei Zeilen zu deiner Körperwahrnehmung, bevor du in den Kopf gehst. Wo sitzt die Spannung? Wie atmet es? Zwei Atemzüge tiefer, Schultern sinken lassen, Kiefer lösen. Dann erst schreiben. Das verändert, was du schreibst.
Was dabei wichtig ist
- Du musst nichts lösen. Schreiben ist kein Pflichttermin mit Ergebnisgarantie. Es ist ein Raum.
- Ehrlichkeit schlägt Schönheit. Ein krakeliges „Ich will nicht mehr denken“ ist wertvoller als eine perfekte Seite ohne Gefühl.
- Wiederholung ist normal. Wenn die gleichen Gedanken zehnmal auftauchen, dokumentierst du Realität – nicht dein Versagen.
- Klein ist groß. Drei Sätze täglich sind eine Praxis. Sie zählen.
Schreibimpulse gegen Grübelspiralen
Wenn du Einstiegshilfen magst, nimm die hier – sanft, direkt, ohne Drama:
- Was beschäftigt mich gerade – und warum genau? Antworte ehrlich, nicht klug.
- Welche Gedanken wiederholen sich? Was steckt emotional dahinter? Häufig sind es Angst, Schuld, Druck. Benennen hilft.
- Was würde ich einer Freundin sagen, wenn sie so denken würde wie ich? Dann sag es dir selbst.
- Was darf ich heute nicht lösen, sondern stehen lassen? Nicht alles braucht heute ein Ende.
- Welche kleine Handlung gibt mir jetzt 5 % mehr Leichtigkeit? Ein Glas Wasser, frische Luft, eine Nachricht, „später“.
Du wirst merken: Mit der Zeit entsteht ein freundlicher Ton zwischen dir und deinem Kopf. Kein Machtkampf. Ein Miteinander. Dein Denken darf klug bleiben – nur nicht allein regieren. Schreiben ist der kleine Gegenpol zum Gedankenlärm, der nicht schreit, sondern einlädt: „Komm, wir setzen das hierhin. Und du ruhst dich kurz aus.“

Abends nicht zur Ruhe? So kommst du sanft runter
Das Gedankenkarussell dreht oft am schnellsten, wenn alles andere still wird. Die Wohnung atmet leiser, das Handy ist beiseite gelegt, der Tag ist offiziell vorbei – und plötzlich ist dein Kopf hellwach. Er nimmt das Ende des Tages als Einladung, all die offenen Tabs im Inneren aufzurufen: Gespräche, Mails, Blicke, To‑dos, kleine Unsicherheiten. Du liegst, willst schlafen, und in dir beginnt die Spätschicht.
Ich habe irgendwann damit aufgehört, dagegen anzurennen. Stattdessen habe ich angefangen, dem Ganzen eine Form zu geben: Ein Journal auf dem Nachttisch. Kein großes Programm. Nur ein Stift, eine Seite, fünf Minuten. Manchmal schreibe ich nur: „Ich bin aufgewühlt, weil…“ und hänge drei Gründe an. Manchmal ist es eine Miniliste: „Drei Dinge, die ich morgen früh kümmere, nicht jetzt.“ Manchmal schreibe ich denselben Satz dreimal. Es hat nicht mein ganzes Leben verändert. Aber oft genug meinen Abend gerettet.
Mein sanftes Abend‑Protokoll (10–15 Minuten)
- Licht runter, Körper ankommen lassen (1–2 Min.)
Lampe dimmen, Schultern kreisen, Kiefer lockern. Einmal tief einatmen, langsam aus. Sag dir innerlich: „Der Tag ist vorbei.“ - Gedanken parken (5 Min.)
Schreibe ungefiltert, was noch lärmt. Stichworte reichen. Wenn etwas wichtig wirkt, setz ein Sternchen und schreibe „morgen 10:00“. Dein Kopf merkt: Es ist aufgehoben. - Zwei Fragen für Distanz (2 Min.)
- Muss ich das heute lösen?
- Was ist der freundlichste Satz, den ich mir jetzt sagen kann?
Notiere genau diesen Satz. Lies ihn leise.
- Mini‑Dankbarkeit, ohne Kitsch (1 Min.)
Drei kleine Dinge, die okay waren. Nicht „großartig“. Nur okay. Der weiche Pulli. Die Nachricht von X. Der Duft vorm Bäcker. Das erdet. - Ruhesignal (1 Min.)
Ein wiederkehrender Schlusssatz, den du immer vor dem Schlafen schreibst, z. B.: „Ich schließe den Tag. Morgen ist genug.“ Dieses Ritual wird zum Anker.
Wenn du magst, kannst du dafür eine vorbereitete Vorlage nutzen. Ich habe ein kleines PDF erstellt – „Good Night Journal“ – genau für diese Nächte, in denen der Kopf zu laut wird. Du findest darin schlanke Seiten, die dich ohne Aufwand durch die fünf Schritte führen, plus ein paar Sätze, die abends wirklich tragen.
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Und falls du merkst, dass du tiefer einsteigen willst, weil die Grübelschleifen dich regelmäßig festhalten: Es gibt meinen 5‑Tage‑Minikurs „Raus aus der Gedankenspirale“. Sanft, ohne Druck, in deinem Tempo. Mit kurzen Audios, Journaling‑Prompts, Mini‑Tools (Labeln, Reframing, Grenzen setzen), die alltagstauglich sind. Kein Blabla – ehrliche Impulse, die wirken, wenn du sie anwendest.
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Weitere kleine Hebel für abends
- Worry‑Time verlegen
Gönn deinem Kopf tagsüber 15 Minuten „Sorgen‑Zeit“ mit Stift. Setz dir einen Timer, sammle alles auf einer Seite. Abends kannst du dich auf diese Seite beziehen: „Schon geparkt.“ - Grenze fürs Bett
Lass das Bett wieder „Bett“ sein – kein Büro. Wenn du merkst, die Gedanken kippen ins Planen, setz dich kurz an einen anderen Platz, schreibe drei Minuten, komm zurück. Das Bett bleibt mit „Ruhe“ verknüpft. - Sinnesanker
Lege eine Hand auf den Bauch, eine aufs Herz. Spür die Wärme. Nenne leise fünf Dinge, die du in diesem Moment wahrnimmst (sehen, hören, fühlen). Notiere zwei davon. Das zieht dich in den Körper. - Schirm gegen den Perfektionismus
Schreibe eine „unvollkommene Seite“ absichtlich: krakelige Schrift, drei halbe Sätze, Punkt. Überschrift: „Gut genug.“ Du trainierst Erlaubnis. - Morgens kurz nachfassen
Wenn die Nacht schwer war, nimm dir morgens 90 Sekunden und schreibe: „Was nehme ich mit? Was lasse ich hier?“ Ein Satz reicht. Du schließt den Kreis.
Wenn es langfristig schwer bleibt
Es ist klug, sich Hilfe zu holen, wenn die Last groß wird. Schreiben kann viel erleichtern, es ersetzt nicht jede Form von Unterstützung. Manchmal ist ein Gespräch mit einer vertrauten Person oder einer professionellen Stelle das Freundlichste, was du dir schenken kannst. Stärke zeigt sich auch darin, nicht alles allein tragen zu wollen.
Zum Schluss
Du musst nichts sofort lösen. Manchmal reicht es, zu bemerken: „Mein Kopf ist müde. Ich bin voll. Ich will nicht mehr alles analysieren.“ In dem Moment, in dem du den Stift nimmst, beginnt etwas, das größer ist als die Seite: Du kommst wieder bei dir an. Einer schreibt: „Es ist einfach zu viel.“ Und genau deshalb ist es gut, dass es jetzt draußen ist – schwarz auf weiß, gehalten von Papier, nicht länger allein in dir.